Die Lehmkuhle unter dem Schierenberg

Die Lehmkuhle unter dem Schierenberg

von Michael Bieling, veröffentlicht im Mai 2021

An der Landesstraße 755 zwischen Altenbeken und Neuenbeken steht etwa gegenüber der ehemaligen Oberförsterei, also unter dem Schierenberg, ein Kreuz, das an einen Unglücksfall im Jahre 1847 erinnert: Zwei Altenbekener, die Lehm ergraben wollten, wurden damals am Montag, 12. Juli, von einstürzendem Bodenmassen verschüttet und erstickten. Aus einem derartigen Vorfall kann gefolgert werden, dass dort in der Nähe des Kreuzes offensichtlich Lehm gefunden und abgebaut wurde und dass die Lehmkuhle eine nicht unerhebliche Größe und Tiefe besessen haben muss, deren Wände so hoch waren, dass sie einstürzen konnten. In derartigen Lehmkuhlen wurde einst Baulehm gewonnen, zum Verputzen von Wänden, zum Ausfachen von Fachwerken oder zum Herstellen von gestampften Zimmerböden. Man benötigte unterschiedliche Lehmqualitäten mit differierendem Tonanteil, möglichst steinfrei.

Abb.1: Baugrube, Foto Mai 2021
Abb.2: Lehmbrocken aus Baugrube, Foto Mai 2021

„Lehm ist eine Mischung aus Sand, Schluff und Ton. Er entsteht entweder durch Verwitterung aus Fest- oder Lockergesteinen oder durch die unsortierte Ablagerung der genannten Bestandteile. Lehm stellt einen der ältesten Baustoffe dar. In feuchtem Zustand ist Lehm formbar, in trockenem Zustand fest. Bei Wasserzugabe quillt Lehm, beim Trocknen schwindet oder schrumpft er. Da Lehm nur physikalisch aushärtet (und nicht wie die meisten anderen Baustoffe chemisch abbindet), wird er in Nord- und Mitteleuropa im Außenbereich meist witterungsgeschützt eingesetzt. Eine Ausnahme sind die Strohlehmwände. Darunter versteht man Verputze aus Lehm mit kurzgeschnittenem, überlappend eingebundenem Stroh, die auch auf den der Wetterseite zugewandten Fachwerkwänden an Wohnhäusern, Scheunen und Stallungen als Witterungsschutz angebracht wurden. Lehme, die sich zum Brennen eignen, sind im Allgemeinen sandige Tone, etwa Ziegellehm als Ausgangsmaterial für das Brennen von Ziegeln.
Natürliche Lehmansammlungen in Mitteleuropa sind meist eiszeitliche Ablagerungen durch Wind angewehten Feinmaterials aus der Steppentundra. Dieser Staub (Löss und Sand) resultierte aus Gletscher-Schleiftätigkeit, wurde von Flüssen verfrachtet und infolge saisonaler Austrocknung verweht.“
(aus Wikipedia Mai 2021)

Der Lehm wurde in der Regel fachmännisch gewonnen, was die jungen Altenbekener im Jahre 1847 wahrscheinlich nicht beachtet haben: Zunächst musste der Mutterboden im Bereich des vermuteten Lehmvorkommens entfernt werden.
Da Lehm in Abhängigkeit vom Feuchtegehalt sehr bindig und somit schwer zu stechen oder abzugraben ist, wandte man folgende Methode an: Vor dem Winter wurden Holzpfähle neben der bereits vorhandenen Grube in den Lehm getrieben und gewässert. Durch Witterungseinflüsse wie Regen, Frost und Tauwechsel brach der Rand ein, wurde am Grubenboden durchfeuchtet und durch Frost (Frostgare) aufbereitet. Anschließend stand in der Grube ein geschmeidiger, klumpenfreier Lehm zur Verfügung, der zum Bauen geeignet war. Er musste allerdings vor dem Austrocknen abtransportiert und verarbeitet werden.

Zurück zur Lehmkuhle an der Landesstraße: Im Mai 2021 wurden in der Nähe des Kreuzes an der Landesstraße 755 eine Baugrube für einen Funkmasten erstellt. In dieser ca. 3 Meter tiefen Grube kann man teilweise steinfreien Lehm unter dem Mutterboden erkennen. Lediglich im nordwestlichen Bereich der Grube tritt Turongestein auf. Damit ist bestätigt, dass in diesem Bereich tatsächlich Lehm ansteht.

Wenn man sich die Lage der Baugrube auf der Karte des preußischen Urkatasters aus dem Jahre 1830 anschaut, ist dort in der Flur 11, Abteilung 1 der Gemeinde Altenbeken bzw. damaligen Steuergemeinde Buke eine Fläche, bestehend aus den Flurstücken 4 und 9, eingetragen, die auf Grund ihres Zuschnittes nicht wie die übrigen landwirtschaftlichen Flächen aussieht. In der Nähe dieses Grundstück ist die Flurbezeichnung „boben hohen Wege“ zu lesen“. Das Wort „boben“ ist frühneuhochdeutsch (ca. 1350 bis 1650) und bedeutet „oben“ oder „oberhalb von“. Die Flurbezeichnung meint also: „oberhalb des hohen Weges“. (aus dem Frühneuhochdeutschen Wörterbuch, https://fwb-online.de)
Mit „hoher Weg“ ist die naheliegende Hauptstraße, der frühere „Hildesheimer Hellweg“ gemeint, der von Paderborn über Altenbeken nach Hildesheim führt. Im Gegensatz dazu verlief der frühere „Niedere Weg“ im Bereich des jetzigen Wirtschaftsweges an der nördlichen Seite des Gewässers Beke und war nicht hochwasserfrei.

Abb.3: Kartenausschnitt DTK 10 aus Geobasis NRW 2020
Abb.4: Urkataster 1830, Steuergemeinde Buke, Flur 11, Abteilung 1, genannt „oben Wege“

(Stückvermessungshandriss, Auszug aus dem Liegenschaftskataster – Historische Karten -Land NRW 2020 / Kreis Paderborn – Amt für Geoinformation, Kataster und Vermessung)

Abschließend ist noch anzufügen, dass auch an anderen Stellen der Gemeinde Altenbeken Lehm ansteht, zum Beispiel im Reelser Grund sowie am Tegelweg bzw am Holschenberg westlich der ehemaligen Sommerfrische. Dort soll früher eine Ziegelhütte (= Teggelhütte, daraus ergibt sich der Name Tegelweg) betrieben worden sein.
Vermutlich deutet die Bezeichnung „Lehmkuhlengrund“ für das Tal oberhalb des Sagebornes nach Osten, wo der Hildesheimer Hellweg zum Eggekamm hinaufführt, ebenfalls den Abbau von Lehm an.

Abb.5: Lehm im oberen Reelser Grund. Foto aus 2016, als der „Reelsche Weg“ noch durch Fichtenwald verlief